Ist Töten ein menschlicher Urinstinkt?

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Seit Jahrtausenden ringt die Menschheit mit einer beunruhigenden Frage: Warum töten Menschen? Ist es ein erlernter Akt – ausgelöst durch soziale Umstände, Angst oder Ideologie? Oder ist es ein tiefer, unbewusster Trieb, der im Innersten unserer Spezies schlummert? Mit anderen Worten: Ist Töten ein menschlicher Urinstinkt?


Die biologische Perspektive: Gewalt als Erbe der Evolution

Der berühmte Verhaltensforscher Konrad Lorenz prägte mit seinem Werk “Das sogenannte Böse” eine bis heute kontrovers diskutierte Theorie: Aggression sei ein natürlich angelegter Trieb. Wie Hunger oder Sexualtrieb baue sich Aggression in uns auf und suche nach Entladung. Während Tiere durch ritualisierte Kämpfe das Töten meist vermeiden, fehle dem Menschen oft diese Sperre.

Auch der Anthropologe Richard Wrangham untermauert diese These. In seinen Studien zu Schimpansen – unseren nächsten genetischen Verwandten – dokumentiert er organisierte “Kriegsähnliche” Angriffe auf benachbarte Gruppen. Die Tiere isolieren schwächere Männchen, töten sie brutal und sichern sich so Ressourcen und Fortpflanzungsvorteile.

Wranghams Schlussfolgerung ist provokant: Gewalt sei in den Genen des Menschen verankert. Besonders Männer hätten evolutionär davon profitiert, wenn sie rücksichtslos agierten. Somit sei es nicht unlogisch, die Frage “Ist Töten ein menschlicher Urinstinkt?” mit einem beunruhigenden “Ja” zu beantworten.


Psychologische Erklärungen: Tötungslust oder Notwehr?

Dem gegenüber steht die psychologische Sichtweise, etwa vertreten durch Erich Fromm, den einflussreichen Sozialpsychologen und Psychoanalytiker. In Anatomie der menschlichen Destruktivität unterscheidet Fromm zwischen „wehrhafter Aggression“ und „bösartiger Aggression“. Erstere sei natürlich, ja notwendig zur Selbstverteidigung. Letztere jedoch – Sadismus, Mordlust, Grausamkeit – sei nicht biologisch, sondern pathologisch. Töten ein menschlicher Urinstinkt? Fromm würde das klar verneinen.

Fromm sieht die Ursache für Gewalt nicht im Instinkt, sondern in gesellschaftlicher Entfremdung, in autoritären Strukturen und in psychischer Deformierung. Ein Mensch, der sich selbst fremd ist, sich als Objekt empfindet oder in Hierarchien gefangen ist, verliert das Mitgefühl. Gewalt wird dann zum Ventil für Ohnmacht.

Auch moderne Psychologen stützen diese Sicht. Das Stanford-Prison-Experiment und die Milgram-Studie zeigen: Menschen sind unter bestimmten Bedingungen bereit zu extremer Gewalt – aber nicht, weil Töten ein menschlicher Urinstinkt wäre, sondern weil sie Autorität, Gruppendruck oder Entmenschlichung folgen.

Zwei Männer greifen einen dritten brutal an – Szene zeigt körperliche Gewalt im urbanen Raum und stellt die Frage: Töten ein menschlicher Urinstinkt?

Historische Beobachtungen: Zwischen Krieg und Zivilisation

Ein weiterer Zugang zur Frage „Töten ein menschlicher Urinstinkt?“ liegt im historischen Vergleich. Der Psychologe Steven Pinker beschreibt in seinem Buch Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit, dass die Mordraten im Verlauf der Geschichte dramatisch gesunken sind. Trotz Weltkriegen, Völkermorden und Terrorismus leben wir heute – statistisch gesehen – in der friedlichsten Epoche seit Anbeginn der Zivilisation.

Für Pinker beweist das: Gewalt ist keine unvermeidbare Konstante. Vielmehr ist sie eine Option, die mit zunehmender Bildung, Rechtsstaatlichkeit, Empathie und globaler Vernetzung immer seltener gewählt wird. Dies widerspricht der These, dass Töten ein menschlicher Urinstinkt sei – vielmehr scheint es eine erlernte Handlung zu sein, die unter bestimmten Umständen wahrscheinlicher wird.

Doch gerade in Zeiten digitaler Polarisierung, wachsender Ungleichheit und wachsendem Narzissmus stellt sich erneut die Frage: Wie stabil ist dieser zivilisatorische Fortschritt? Wenn sich Menschen gegenseitig entmenschlichen, politische Gegner verteufeln oder Tiere als Produktionsgüter behandeln, wird die Hemmschwelle zum Töten wieder niedriger.

Die Frage bleibt also offen: Ist das Töten tief in uns angelegt, oder ist es ein Produkt bestimmter Umstände? Klar ist nur: Um Gewalt zu verstehen, müssen wir ehrlich und mehrdimensional hinschauen.


Gewalt als Teil der menschlichen Entwicklung?

Wenn wir die Frage „Töten ein menschlicher Urinstinkt?“ ernsthaft untersuchen, kommen wir nicht umhin, einen Blick auf die Geschichte der Menschheit zu werfen – und dabei erkennen wir: Gewalt war nie ein Unfall. Sie war oft der Motor von Fortschritt, Macht, Herrschaft und Expansion. Bereits in archaischen Stammeskulturen wurde Tötung nicht nur akzeptiert, sondern ritualisiert. Der Tod des Gegners bedeutete Überleben, Sieg, Ressourcen, Status – ein tief verankerter Mechanismus, der sich nicht über Nacht abschaltet.

Der Anthropologe Napoleon Chagnon, berühmt für seine jahrzehntelange Feldforschung bei den Yanomami im Amazonasgebiet, dokumentierte, dass Männer, die getötet hatten, häufiger Nachwuchs zeugten – eine direkte Verbindung zwischen Gewalt und evolutionärem Erfolg. Auch Evolutionsbiologen wie Richard Wrangham (Harvard University) argumentieren, dass unsere Vorfahren koordiniertes Töten entwickelten, um interne Konflikte zu minimieren und externe Rivalen effizient auszuschalten. Solche Beobachtungen lassen die These plausibel erscheinen: Töten ein menschlicher Urinstinkt? Vielleicht – doch das Bild ist komplexer.

Denn: Der „Drang zu töten als Urinstinkt“ ist kein Automatismus, sondern ein Potenzial. Wir alle tragen Aggression in uns – doch wie und wann sie aktiviert wird, hängt vom sozialen Kontext ab. Es ist der Mix aus Biologie, Sozialisierung und Ideologie, der den Ausschlag gibt. Deshalb bleibt offen, ob Töten ein menschlicher Urinstinkt ist – oder eher ein erlerntes Verhalten, das nur unter bestimmten Bedingungen hervortritt.

Ein Beispiel: In totalitären Systemen werden Menschen systematisch dazu gebracht, andere zu töten – nicht trotz, sondern wegen ihrer Humanität. Die „Banalität des Bösen“, wie Hannah Arendt es formulierte, entsteht durch Gewöhnung, Gruppenzwang und Ideologisierung. In solchen Systemen wird der innere Abscheu gegenüber dem Töten systematisch überlagert von Gehorsam, Angst oder moralischer Verwirrung.

Wer mehr über die psychologische Zerstörung innerer Werte lesen möchte, findet hier einen kritischen Beitrag über moderne seelische Verarmung.


Ist der Mensch ein Raubtier unter Schafen?

Im Tierreich ist Tötung oft notwendig, zielgerichtet, instinktgesteuert – bei Löwen, Haien, Wölfen. Doch beim Menschen wird getötet aus Ideologie, Neid, Habgier, Machtlust – oder sogar aus Langeweile. Hier liegt der gravierende Unterschied: Der „Drang zu töten als Urinstinkt“ beim Menschen ist nicht an Hunger gekoppelt, sondern an Denkmuster. Und gerade deshalb ist er gefährlich.

Die Fähigkeit des Menschen, systemisch zu töten – in Kriegen, Lagern, Genoziden – ist in ihrer Effizienz einzigartig. Keine andere Spezies zerstört in einem solchen Ausmaß ihre eigene Art oder andere Arten. Die Tötung wird institutionalisiert, technisiert, moralisch gerechtfertigt. Tiere töten zum Überleben – Menschen oft aus Prinzip.

Dieser beunruhigende Aspekt der Menschlichkeit findet sich auch in einer anderen Dimension: im passiven Töten. Millionen Tiere sterben täglich in Laboren, Tierfabriken, auf Schlachtstraßen. Die Entfremdung vom Akt des Tötens führt dazu, dass man nicht mehr hinsehen muss – aber trotzdem verantwortlich bleibt. Ein Blick auf die Ausbeutung tierischer Leben in Forschung und Konsum zeigt, wie weit sich die „Zivilisation“ von natürlicher Ethik entfernt hat.


Was uns von anderen unterscheidet – und was nicht

Ein interessanter Vergleich: Die Hauskatze wird oft als harmloses Haustier gesehen, tötet aber jährlich mehrere Milliarden kleinere Tiere weltweit. Und doch fehlt ihr der bewusste Wille zur Zerstörung. Die Mücke hingegen verursacht jedes Jahr Millionen Tote, doch rein durch Übertragung – nicht durch Absicht.

Beim Menschen dagegen ist die Tötungsabsicht oft kalkuliert. Und das ist der Punkt, an dem der „Drang zu töten als Urinstinkt“ zur moralischen Herausforderung wird. Wenn wir wissen, dass wir dazu fähig sind – was machen wir daraus?

Ist es nicht die höchste Form menschlicher Intelligenz, das Potenzial zur Gewalt zu erkennen und bewusst zu transformieren?

Wer darüber nachdenkt, was uns wirklich lenkt – Zufall oder Absicht –, dem sei auch dieser Beitrag empfohlen: War das Zufall oder Schicksal?.

Justitia-Skulptur mit Richterin im Hintergrund – Symbol für ethische Fragen rund um Töten ein menschlicher Urinstinkt

Die Verantwortung des Bewusstseins

Wenn der „Drang zu töten als Urinstinkt“ Teil unseres biologischen Erbes ist, stellt sich eine entscheidende Frage: Müssen wir diesem Instinkt folgen? Oder können wir als bewusste Wesen Verantwortung für unser Verhalten übernehmen?

Das, was uns vom Tier unterscheidet, ist nicht die Fähigkeit zur Gewalt – sondern zur Reflexion. Wir können entscheiden, ob wir unsere inneren Impulse zügeln oder ihnen freien Lauf lassen. Und gerade in einer Zeit, in der die Welt von Konflikten, Kriegen und Umweltzerstörung geprägt ist, wird diese Entscheidung zum moralischen Prüfstein der Menschheit.

In Gesprächen über Liebe und Mitgefühl zeigt sich, dass der Mensch sehr wohl zur Fürsorge fähig ist. Doch diese Fähigkeit muss kultiviert werden. Sie wächst nicht aus Instinkt, sondern aus Einsicht, Reife und Perspektivwechsel. Wer die zerstörerischen Tendenzen erkennt, kann sich bewusst gegen sie entscheiden – und für ein friedlicheres Leben.

Der Schlüssel zur Überwindung des destruktiven Potentials liegt in Bildung, emotionaler Intelligenz und dem Mut zur Ehrlichkeit. Genau darum geht es auch in diesem Beitrag: Wie man eine Lüge erkennt. Denn wer sich selbst belügt, wird auch andere belügen – und verletzen.


Fazit: Töten ist möglich – Menschlichkeit auch

Es ist Zeit, den Menschen nicht länger nur als Krone der Schöpfung zu feiern, sondern als Spezies in Verantwortung. Der „Drang zu töten als Urinstinkt“ ist real – doch er darf keine Entschuldigung sein. Wenn wir ihn erkennen, verstehen und kontrollieren, haben wir die Chance, etwas zu schaffen, was keine andere Spezies auf diesem Planeten jemals geschafft hat: Gewalt freiwillig zu überwinden.

Der Mensch ist gefährlich – das stimmt. Doch ebenso ist er fähig, sich selbst zu durchschauen und den Kreislauf der Zerstörung zu unterbrechen. Es liegt an jedem Einzelnen, ob wir uns weiter rechtfertigen – oder bewusst handeln.

Wer sich weiter mit der Frage beschäftigen will, wie gefährlich der Mensch im Vergleich zu anderen Spezies wirklich ist, findet hier einen spannenden Beitrag:

Der Mensch als gefährlichste Spezies der Welt

Und wer wissen möchte, wie tief die Instinkte tatsächlich reichen, kann diesen Artikel lesen:

BBC – Are humans hard-wired to kill?

Weitere interessante Lektüre:

Science.org – Origins of Human Aggression


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